Von: Lydia Rudow
Willkommen in Kiel, einer offenen, hilfsbereiten und solidarischen Stadt für alle!
Herr Stadtpräsident, sehr geehrte RatskollegInnen, liebe Gäste,
schon vor einem Jahr haben wir an dieser Stelle in einer aktuellen Stunde darüber gesprochen, wie wir Flüchtlinge in Kiel aufnehmen wollen. Wir wussten, dass die Flüchtlingszahlen ansteigen würden, aber von der Dynamik der letzten Wochen wurden viele überrascht. Mitte August bin ich noch mit dem Eurocity nach Budapest gefahren – zwei Wochen später wurde die Zugverbindung gestrichen und Ungarn hat einen Grenzzaun hochgezogen. Die dramatischen Szenen der letzten Nacht, der Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gegen Flüchtlinge, schien vor ein paar Wochen noch unvorstellbar. Ungarn ist das wohl krasseste Beispiel, aber auch andere Länder der EU verweigern sich in der Flüchtlingsfrage, Grenzen werden geschlossen, jahrelang als Errungenschaften gefeierte Institutionen wie die Reisefreiheit im Schengen-Raum werden auch in Deutschland über Nacht abgeschafft – innerhalb von Tagen wird die europäische Idee eingerissen, die über Jahrzehnte aufgebaut wurde.
Dem gegenüber steht die beispiellose Hilfsbereitschaft vieler Menschen, die wir auch in Kiel so beeindruckend erleben. Wo der Staat versagt, wo die EU noch über Quotenregelungen diskutiert, wo Bund und Länder wochenlang um Gelder ringen – da übernehmen die Bürgerinnen und Bürger Verantwortung und füllen die Lücke. Flüchtlinge werden mit bunten Festen willkommen geheißen, in den Sozialen Netzwerken werden Spendenaktionen koordiniert, vor Ort geben Menschen den Hilfsaktionen ein Gesicht.
Täglich gibt es neue Entwicklungen, die es der Stadt Kiel schwer machen, immer rechtzeitig die notwendige Infrastruktur bereit zu stellen. Im Vergleich zu dem, was andere Städte organisieren, ist der Einsatz der Kieler Stadtverwaltung klasse und ein großes Dankeschön geht deshalb an dieser Stelle an alle MitarbeiterInnen, die momentan im Dauereinsatz sind. Ich bin froh in einer Stadt zu wohnen, die nicht in Frage stellt oder diskutiert, ob es Aufgabe der Stadt ist, Flüchtlinge auf der Durchreise mit Betten und Verpflegung zu versorgen, sondern die es einfach macht. Wir müssen aber auch zugeben, dass es ohne das große ehrenamtliche Engagement in den letzten Tagen zu Notsituationen gekommen wäre, eben weil die Stadt einen gewissen Planungsvorlauf benötigt und nicht ad hoc eine Unterbringungsmöglichkeit stellen konnte – Danke daher an alle Helferinnen und Helfer, die nachts vor Ort waren und sich um die Flüchtlinge gekümmert haben! Es ist ganz klar, städtische und ehrenamtliche Hilfe müssen in diesen Tagen Hand in Hand gehen und zusammen koordiniert werden, bürgerschaftliches Engagement wird auch in Zukunft gefragt sein. Die Flüchtlingsfrage ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe geworden.
Unter den Flüchtlingen, die in den letzten Wochen zu uns kamen und in Kiel bleiben wollen, sind immer mehr Frauen, Kinder und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Diese Gruppe muss besonders in den Blick genommen und unterstützt werden. Wir haben in Kiel bereits Angebote wie die muttersprachliche Begleitung: ein Dolmetscherinnen-Pool für die Frauenberatungsstellen; die Stadt finanziert Fortbildungen für ErzieherInnen, um den Umgang mit traumatisierten Kindern zu schulen; die DaZ-Kurse an den Schulen werden ausgeweitet; an der Gemeinschaftsunterkunft am Schusterkrug wurde eine offener Jugendtreff eingerichtet. Aber: Die Strukturen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen - neben den primären Fragen der Unterbringung und Versorgung werden wir deshalb in den kommenden Monaten auch darüber sprechen müssen, wie wir die Hilfs- und Integrationsangebote in der Stadt stärken können.
Zentral dafür, dass Kiel weiterhin Willkommens-Hauptstadt in Schleswig-Holstein bleibt, wird sein, dass Stadt und Zivilgesellschaft Hand in Hand arbeiten. Was nicht entstehen darf ist das Gefühl von allein-gelassen-sein, von Überforderung, von Ohnmacht – nicht bei den HelferInnen, die freiwillig Nachtschichten schieben, nicht bei den ErzieherInnen, die traumatisierte Kinder betreuen, nicht bei den Schulen, die kaum noch Platz für neue DaZ-Kurse haben, nicht bei den Hauptamtlichen, die täglich vor neue Herausforderungen gestellt werden. Zentral ist daher gegenseitiger Respekt, gegenseitige Unterstützung, Aufbau und Stärkung der Infrastrukturen durch die Stadt wo es möglich ist und zivilgesellschaftliches Engagement wo es nötig ist und Lücken gefüllt werden müssen. Lasst uns die Herausforderung gemeinsam lösen – die beste Voraussetzung dafür haben wir jedenfalls: Auf allen Ebenen Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren – Danke dafür!