Sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert 17. Februar 200615. November 2021 Sichere Energieversorgung im 21. Jahrhundert Energieeinsparung und erneuerbare Energien statt Atom und Kohle Wörlitz, 12. Januar 2006 Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten verringern Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat Deutschland und Europa die starke Abhängigkeit von Energieimporten vor Augen geführt. Der russisch-ukrainische Streit war dabei nur das Vorspiel zu den großen Energiekonflikten, die die nächsten Jahrzehnte prägen werden. Mit der Endlichkeit der fossilen Energien und des Urans werden politische Spannungen zunehmen. Wer klug ist, spart Energie, sattelt zügig auf erneuerbare Energiequellen um und diversifiziert seine Bezugsquellen. Die Herausforderung des 21. Jahrhundert muss es sein, teure fossile Energieträger durch besser gedämmte Häuser, durch effizientere Elektrogeräte und durch erneuerbare Energien zu ersetzen! Der russisch-ukrainische Streit hat in der großen Koalition erneut die Debatte um die Atomenergie entfacht. Neben Wirtschaftsminister Glos haben fast alle Ministerpräsidenten aus unionsgeführten Bundesländern der im Koalitionsvertrag vereinbarten Fortsetzung des Atomausstiegs widersprochen und längere Laufzeiten für Atomkraftwerke gefordert. Es blieb dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch überlassen, das wahre Ziel der Union zu verkünden. Mit seiner Forderung, dem AKW-Neubau Tür und Tor zu öffnen, hat er die Katze aus dem Sack gelassen und den Atomkonsens in Frage gestellt. Atomenergie – kein Beitrag für mehr Versorgungssicherheit Atomkraft ist allen Unkenrufen zum Trotz unsicher, teuer und kein Beitrag, weder zur Versorgungssicherheit noch zum Klimaschutz. Längere Laufzeiten von Atomkraftwerken bergen nicht nur zusätzliche Risiken, sondern ziehen auch zusätzliche Kosten nach sich: für altersbedingte Nachrüstungen, für erforderliche Sicherheitsinvestitionen gegen Terrorgefahren, für die Endlagerung zusätzlichen Atommülls. Immer noch ist das Entsorgungsproblem weltweit ungelöst und die Kosten unbekannt. Und auch zur Versorgungssicherheit leistet die Atomenergie keinen zusätzlichen Beitrag, denn Uran wird vollständig importiert und seine Reichweite ist mit etwa 30 – 40 Jahren ebenso begrenzt wie die von Erdöl und Erdgas. Nicht zuletzt verhindert eine Laufzeitverlängerung die von der Energiewirtschaft bereits angekündigten Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien und Klima schonende Energietechnologien. Atomenergie verliert weltweit an Bedeutung Die vielfach von der Atom-Lobby beschworene weltweite Renaissance der Atomenergie widerspricht zudem den Tatsachen und entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als reine PR-Kampagne. Die in dieser Frage unverdächtige Internationale Energieagentur (IEA) geht von einer Halbierung des weltweiten Anteils der Atomenergie bis zum Jahre 2030 aus. Einzelnen Neubauten in wenigen Ländern wie Finnland oder China oder Angedachten wie in Frankreich steht eine Vielzahl von altersbedingten Abschaltungen vieler Reaktoren weltweit gegenüber. Das hohe Alter der derzeitigen 442 AKW, die einen Anteil am weltweiten Endenergieverbrauch von nur etwa 2,5 Prozent bereitstellen 1, wird in vielen Ländern noch erhebliche Diskussionen über die Sicherheit der Atomenergie aufwerfen. Auch für Deutschland gilt: Je älter die Reaktoren, desto höher sind die Sicherheitsrisiken. Es sind vor allem altersschwache Atommeiler wie Biblis A und B, Neckarwestheim oder Brunsbüttel, die gegen Terrorgefahren anfälliger sind und auf den deutschen Störfalllisten ganz oben stehen und noch in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen müssen. 1 Die häufig genannten sieben Prozent Atomenergie -Anteil am Weltenergieverbrauch ist irreführend, da hier auch die nicht genutzte Abwärme eingerechnet wird Keine „Dirty Deals“ zwischen Steinkohle und Atomenergie Wir erwarten von der Regierungskoalition, dass sie den lähmenden Streit über die Atomenergie endlich beendet und stattdessen die notwendigen Schritte für eine zukunftsorientierte Energieversorgung einleitet. Wir warnen Schwarz-Rot vor einem Dirty Deal „Atomkonsens gegen Steinkohlesubventionen“. Das wäre ein Signal gegen die Zukunft! Auch die heute immer noch hoch subventionierte heimische Steinkohle kann keinen Beitrag für mehr Versorgungssicherheit leisten: Die ökologischen und ökonomischen Kosten einer solchen Strategie sind gerade vor dem Hintergrund ihrer erheblichen klimaschädlichen Wirkungen unbezahlbar. Die so genannten Clean-Coal-Technologien sind vor allem ein PR-Instrument der Kohlelobby und keine Lösung. Energieeinsparung als Brücke zum Zeitalter der Erneuerbaren Energien Im 21. Jahrhundert muss es um die intelligente Nutzung knapper Ressourcen, den Schutz der Erdatmosphäre und um Zukunftstechnologien wie die erneuerbaren Energien gehen. Verschwenderische, hoch subventionierte und riskante Großtechnologien bieten keine Perspektive für die Zukunft. Etwa 40 Prozent unseres heutigen Energieverbrauchs können eingespart werden, der größte Teil davon sogar mit Gewinn. Deshalb muss es der Energieverschwendung an den Kragen gehen. Nicht Atomenergie, sondern Energieeinsparung ist die Brücke zum Zeitalter der erneuerbaren Energien. Wird die Einsparung konsequent vorangetrieben, sinkt der Zubaubedarf für neue Kraftwerke. Das wäre ein zentraler Beitrag für eine höhere Versorgungssicherheit. Mit effizienter Energienutzung, verstärkter Kraft-Wärme-Kopplung, Energieeinsparung und einer klaren Wachstumsstrategie für erneuerbare Energien stehen deutlich bessere Alternativen zur Verfügung, die nur darauf warten, umgesetzt zu werden. Energiewende konsequent fortführen Wir wollen deshalb den Anteil der erneuerbaren Energien an der Strom- und Wärmeversorgung sowie bei den Treibstoffen und den Rohstoffen der chemischen Industrie bis 2020 auf 25 Prozent erhöhen und gleichzeitig den Gesamtverbrauch von Energie durch Einsparungsmaßnahmen und die Anwendung der modernsten Technologien um mindestens 20 Prozent reduzieren. In wenigen Jahrzehnten kann die gesamte Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energien sichergestellt werden. Wir Bündnisgrünen haben in unserer Regierungsverantwortung damit begonnen, wichtige Bausteine für eine nachhaltige Energieversorgung auf den Weg zu bringen: von der Ökosteuer bis zum Atomausstieg, von der Förderung des Wettbewerbs auf den Strom- und Gasmärkten zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, vom Emissionshandel bis zur Altbausanierung, von der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung bis zur Steuerfreiheit für Bioenergien. Da, wo es nicht schnell genug voran ging, etwa beim Abbau der Steinkohlesubventionen oder größeren Anstrengungen für die Altbausanierung und die Kraft-Wärme-Kopplung, hat die SPD auf der Bremse gestanden. 14-Punkte-Programm für eine sichere Energieversorgung Wir fordern die neue Bundesregierung auf den Weg der Energiewende konsequent fortzuführen und werden diesen Ansatz durch eigene Gesetzesvorschläge und Anträge konstruktiv und kritisch begleiten. Unsere Forderungen: 1. Energiepass für Gebäude einführen: Die Bundesregierung muss endlich einen bedarfsorientierten und verbraucherfreundlichen Energiepass für Wohnhäuser einführen. Damit können Mieter und Käufer von Wohnimmobilien den Energieverbrauch von Objekten vergleichen. Die maßgebliche Verordnung dafür schlummert bereits seit Monaten in den Schubladen des federführenden Wirtschaftsministeriums. 2. Regeneratives Wärmegesetz vorlegen: Die Regierung muss einen Vorschlag für ein regeneratives Wärmegesetz vorlegen. Die Wärmeerzeugung ist von großer energiepolitischer Bedeutung. Ähnlich wie im Stromsektor müssen die erneuerbaren Energien auch beim Heizen verstärkter zum Einsatz kommen. Bis zur Verabschiedung eines neuen Förderrahmens muss das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien deutlich aufgestockt werden. 3. Gesetz zur Biogaseinspeisung verabschieden: Biogas kann Erdgas im erheblichen Umfang ergänzen bzw. ersetzen. Die Biogaseinspeisung ist daher ein zukunftsweisender Beitrag für die Sicherung der Energieversorgung und den Klimaschutz. Die rechtlichen Rahmenbedingungen z.B. zur Aufbereitung und Einspeisung müssen dafür allerdings noch weiter verbessert werden. 4. CO2-Gebäudesanierungsprogramm aufstocken: Die energetische Altbausanierung hat ein erhebliches Klimaschutzpotenzial. Sie muss wie von Schwarz-Rot vollmundig im Koalitionsvertrag verkündet auf 1,5 Mrd. € deutlich aufgestockt werden. Eine Verbesserung der Förderbedingungen kann zudem die Attraktivität dieses Programms weiter erhöhen. 5. Nationale Strategie zur Energieeffizienz erarbeiten: Die neue EU-Richtlinie zur Energieeffizienz sieht vor, dass Deutschland bis Mitte 2007 eine nationale Effizienzstrategie vorlegen muss. Diese Strategie mit konkreten Zielen und Maßnahmen muss zügig angegangen werden – es wäre fahrlässig von Schwarz-Rot, sie auf die lange Bank zu schieben. 6. Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung verbessern: Die Kraft-Wärme-Kopplung als dezentrale und effizienteste Technologie zur Erzeugung von Strom und Wärme muss weiter ausgebaut werden. Die Überprüfung der Wirksamkeit des Fördergesetzes wird seit über einem Jahr durch das Wirtschaftsministerium blockiert. Wir fordern eine schnelle Überprüfung und Nachbesserung des Gesetzes, damit das Ziel einer Verdopplung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung bis zum Jahre 2010 erreicht werden kann. 7. Emissionshandel wirksamer ausgestalten: Beim Emissionshandel müssen stärkere Anreize für einen effizienten Einsatz fossiler Brennstoffe in Kraftwerken gesetzt werden. Wir fordern deshalb die große Koalition dazu auf, beim so genannten Zuteilungsplan für die Jahre 2008-2012 hohe Anreize für den Brennstoffwechsel zu setzen und einen Teil der Zertifikate zu versteigern (zehn Prozent). 8. Klimaschutzfonds für Effizienzmaßnahmen: Mit einem Klimaschutzfonds kann in Schulen, Krankenhäusern, Kommunen und privaten Haushalten die Energieeinsparung vorangetrieben werden. Statt länger die kostspielige Förderung der deutschen Steinkohle zu subventionieren, sollte Schwarz-Rot die Mittel hierfür schrittweise in einen solchen Fonds anlegen. 9. Verbrauchskennzeichnung für Elektrogeräte verbessern: Mit einer besseren Kennzeichnung des Stromverbrauchs von Kühlschränken, Computern und anderen Elektrogeräten könnten Stromfresser leichter identifiziert werden. Das nützt Verbraucher und Umwelt. Bisher hat in dieser Frage das Wirtschaftsministerium alle Verbesserungsinitiativen abgeblockt (z.B. bei standby-Verlusten). 10. Top-Runner-Ansatz für sparsamere Elektrogeräte: Mit dem so genannten Top-Runner-Ansatz kann der Wettbewerb um beste Entwicklungen angestoßen werden. Japan macht es mit Erfolg vor. Grenzwerte für den Stromverbrauch von Elektrogeräten müssen nicht immer im Detail vorgeschrieben werden. Stattdessen soll der aktuell beste den künftig geltenden Standard setzen. Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, ein nationales Top-Runner-Programm zu entwickeln. 11. Mehr Wettbewerb in den Energiemärkten: Fairer Wettbewerb auf den Energiemärkten in Deutschland und Europa ist die Voraussetzung für mehr Effizienz, Innovationen, erneuerbare Energien, Umweltschutz und faire Preise. Deshalb müssen die bestehenden Oligopolstrukturen auf dem Stromund Gasmarkt aufgebrochen und die Vielfalt der Akteure gesteigert werden. Dafür sind u. a. die Ansätze der 2005 verabschiedeten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes konsequent umzusetzen und auszuweiten. Es geht aber auch darum, die Energiepreisgestaltung transparent zu gestalten und die fachlich nicht zu begründende Preisbindung des Gaspreises an den Ölpreis aufzuheben. 12. Energieforschung stärken: Im vorgesehenen Innovationsprogramm der Bundesregierung muss sie den Schwerpunkt der Energieforschung auf erneuerbare Energien und Energieeinsparung legen. Das gleiche gilt für die Einflussnahme der Bundesregierung auf das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU. 13. Den Energieverbrauch im Verkehrsbereich drastisch senken: Der Energieverbrauch, insbesondere der Ölverbrauch, und die Treibhausgasemissionen im Verkehrsbereich sind viel zu hoch. Die Abhängigkeit vom Öl liegt bei über 90 Prozent. Deshalb muss die Effizienz der Motoren und Systeme deutlich verbessert werden. Eine Strategie „Weg vom Öl“ wird nur erfolgreich sein, wenn es gelingt den Spritverbrauch der Automobilflotten drastisch zu senken. Dazu brauchen wir europaweit ambitionierte und verbindliche Verbrauchsobergrenzen. 14. Alternative Antriebssysteme und Treibstoffe fördern: Vor allem im automobilen Bereich ist der Anteil neuer Antriebssysteme und Treibstoffe (nur rund zwei Prozent) viel zu gering. Notwendig ist eine industrielle und politische Strategie zum Ersatz von Benzin und Diesel durch regenerative Treibstoffe und neue Antriebstechnologien wie Hybridtechnologie und Nullemissionsautos. Die steuerliche Förderung, insbesondere die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen, darf nicht – wie von Schwarz-Rot geplant – reduziert sondern muss unbedingt beibehalten werden. Forschungs- und Entwicklungsförderung müssen ausgebaut werden. Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag / Beschluss: Sichere Energieversorgung 2 / 3