Geschlechtliche Vielfalt ist eine gesellschaftliche Herausforderung

Von: Jessica Kordouni

Sehr geehrter Herr Stadtpräsident,
Liebe nichtbinäre Mitmenschen,
Meine Damen und Herren,

Eine neue Idee umzusetzen, erscheint oft einfacher, als einen alten Fehler zu korrigieren. Vor allem dann, wenn er mit falsch verstandenen Traditionalismus oder einer Vorstellung von Norm und Abnorm einhergeht.

Geschlechtliche Vielfalt ist dafür ein Beispiel.

Die Vorstellung, dass die Welt in zwei Geschlechter eingeteilt ist, von dem das eine – der Mann – die Norm ist und das andere – die Frau – der kastrierte Mann (zumindest laut Freud), hat nicht nur zu einer Jahrtausend alten Diskriminierung der Frau geführt, sondern hat auch weitere Varianten beinah unsichtbar gemacht. Menschen, die weder Mann noch Frau sind, hatten bis vor zwei Wochen nur die Möglichkeit, sich für eine der beiden Seite zu entscheiden und damit niemals sie selbst zu sein.

Um es vorweg zu nehmen. Mir ist bewusst, wie komplex dieses Thema ist. Und mir ist ebenso bewusst, dass die Umsetzung die Verwaltung wirklich fordern wird.

Dennoch tritt beim Lesen des vorliegenden Berichtes Ernüchterung ein. Denn abgesehen vom Versprechen, dass man sich um entsprechende Informationen bemüht, bleibt am Ende nur das Fazit: Wir wissen, dass wir noch nichts wissen.

Das ist mir, ehrlich gesagt, ein bisschen dünn für ein Thema, dass für alle nichtbinären Personen große Brisanz hat. Auch fragt man sich während der Lektüre: Warum nicht bereits einfache Maßnahmen in Angriff genommen wurden? Nicht für alles braucht es große Konzepte oder politische Beschlüsse.

Beispiel Toiletten: Die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt wäre einen Test wert gewesen

Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und eine große Erleichterung für alle nichtbinären und transidenten Personen.

Oder das Pflichtfeld Anrede im Kontaktformular auf der Webseite. Ich konnte es gestern wirklich nicht fassen, dass man hier weiterhin nur zwischen „Frau und Herr“ auswählen kann. Eigentlich Kleinigkeiten, aber genau das hat großen Symbolwert.

Es bleibt das Gefühl, dass die Bedeutung und der Umfang dieses Themas vielen immer noch nicht bewusst ist. Dass es sich eben nicht nur auf Menschen bezieht, die beide Geschlechtsmerkmale besitzen. Laut einer Studie der Zeit identifizieren sich 3,3 Prozent der Menschen in Deutschland weder als weiblich noch als männlich. Das sind 2,6 Millionen Menschen, davon sind 160.000 Personen Menschen, die beide Geschlechtsmerkmale besitzen.

2,6 Millionen Menschen – stellen Sie sich vor, sie gehörten zu 2,6 Millionen Menschen, deren Geschlechtsidentität in Frage gestellt wird, quasi nicht existent ist? Du bist Mann oder Frau, entscheide dich! Mit Recht würden Sie fragen, was geht es eigentlich andere an, wer ich bin?

Und auch darüber hinaus leiden Menschen darunter, wenn sie den gängigen Vorstellungen von zwei Geschlechtern nicht entsprechen:

  • Menschen mit androgynen Aussehen
  • Frauen mit Bartwuchs
  • Männer mit hoher Stimme
  • Frauen, die im Alter härtere Gesichtszüge bekommen

Menschen, die nicht der binären Vorstellungswelt entsprechen, sind Lästereien und deutlicher Diskriminierung ausgesetzt. Und warum? Weil wir eine Grenze gezogen haben, was sein darf und was nicht darf.

Gender in ihrer Gänze wahrzunehmen und es als Spektrum einer breiten Klaviatur zu sehen bedeutet, Menschen so sein zu lassen wie sie sind. Und eben kein Bohei daraus zu machen, dass die Dame dort drüber einen Bart trägt. Denn das ist verletzend und führt in der Regel dazu, dass Menschen ein Leben lang leiden oder aufgrund des Leidensdrucks Suizid begehen.

Übrigens, in diesem Neuland Internet, ist man schon längst einen Schritt weiter. Bei Facebook hat man die Wahl zwischen 60 Geschlechtsbezeichnungen. Hier werden die Rechte von Trans-, Inter- und Nichtbinären Personen vorgelebt. Das ist das, was ich mir von der Stadt Kiel wünschen würde. Eine Vorbildfunktion, ein Signal, dass man nichtbinäre Personen und Transmenschen wirklich mit Taten unterstützen will.

Ich weiß, liebe Verwaltung, dass es nicht einfach wird, diese Herausforderung zu bewältigen. Aber es ist – Herr Stadtpräsident, ich fluche jetzt zweimal – verdammt nochmal wichtig und es ist verdammt noch mal notwendig. Und zwar so schnell wie möglich!

Wie notwendig, zeigt wieder einmal die USA. Dort wurden der New York Times Dokumente des US-Gesundheitsministeriums zugespielt, in denen gefordert wurde, ausschließlich zwei Geschlechter gesetzlich festzulegen und Betroffene im Zweifel mittels DNA-Test einem Geschlecht zuzuweisen. Dieser Trend eines falsch verstandenen Konservatismus und der Rechtspopulismus wird zu einer Gefahr für alle Menschen, die nicht der Norm heterosexueller Cis-Menschen entsprechen.

Alle queeren Personen sind zunehmender Gewalt ausgesetzt, gerade weil sie die Vorstellung von Geschlecht verändern und traditionelle Geschlechterrollen auflösen. Das passt vor allem denjenigen nicht, die an einem starken Maskulinismus festhalten, weil er sie per se zu stärkeren Menschen macht, auch wenn sie eigentlich ganz kleine Würstchen sind.

Aber selbst in Deutschland kommen wir nicht raus aus unserer Haut. Zwar können Menschen seit dem 1. Januar als Geschlecht „divers“ eintragen lassen, aber nur nach vorheriger medizinischer Untersuchung. Die Lösung, dass eine Angabe des Geschlechts gar nicht mehr notwendig ist, hat man gar nicht in Betracht gezogen. Obwohl das in anderen Ländern üblich ist. Auch wird ignoriert, dass sich Geschlecht nicht durch körperliches Merkmal definiert, sondern dass es vor allem eine Sache der Identität ist.

In einem Land wo Freiheit, Würde und Gleichheit so hoch gehalten werden wie in der Bundesrepublik, müsste doch der Schutz der Identität einer Person zu den höchsten Gütern gehören.

Darum ist es umso wichtiger, unsere Kräfte jetzt zu bündeln und nichtbinären und transidenten Menschen ein Gesicht zu geben. Ihnen auch in der Verwaltung zu zeigen: Ihr existiert und ihr seid die Normalität.

Und ja, es ist ein Prozess, der noch läuft. Das sieht man unteranderem daran, dass Anrede und Pronomen für die dritte Option noch in der Diskussion ist. Das Pronomen „Es“, das Dinghaftes, Fremdes und Gruseliges bezeichnet ist einfach keine Alternative. In Schweden ist man diesen Schritt gegangen und hat neben „han“ (er) und „hon“ (Sie) die Bezeichnung „hen“ für nichtbinäre Personen eingeführt. Sprache macht sichtbar und Verwaltung ebenso.

Oft ist es so, dass der richtige Weg nicht der einfachste und preiswerteste ist. Aber es lohnt sich einen schwierigen Weg zu gehen, damit am Ende ein alter Fehler korrigiert wird.

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