Rede zum Jahresempfang 2019

Von: Jessica Kordouni

Liebe Freund*innen,

Seit einem Dreivierteljahr ist die neue Ratsfraktion nun im Amt und mit unserem heutigen Gast Kim Kohlmeyer von Noord Transport wollen wir auch gleich eine unserer Stoßrichtungen zeigen, die wir für die kommenden vier Jahre geplant haben.

Verkehrswende, Mobilitätswende, Energiewende, Luftreinhalteplan, 1-Euro-Ticket, Klimakrise – ich möchte ganz ehrlich sein: die großen Herausforderungen unserer Zukunft als Menschheit sind nur mit massiven Veränderungen zu bewältigen und wir können uns nicht länger eine Politik der eingeschlafenen Füße leisten.

Was wir brauchen ist Mut. Mut komplexe Veränderungen anzupacken und ganz neue Idee auszuprobieren. Was ich im Rat und auch in den Parlamenten immer wieder feststelle: man verrennt sich in kleinen Schönheitsreparaturen und glaubt an Stellen Kompromisse verhandeln zu können, wo gar keine Kompromisse mehr möglich sind.

Unserem Planeten ist es egal, ob wir ein Klimaziel von 1,5 Prozent oder von 5 Prozent Erwärmung aushandeln. Unser Planet ist ein Organismus oder, wie man so schön sagt: Mit der Natur kann man nicht verhandeln!

Packen wir es nicht, den Ausstoß der Treibhausgase einzudämmen und heizen wir den Planeten durch unser Verhalten weiter auf, dann wird sich unsere Umwelt so radikal verändern, dass unsere Kinder sich in Kriegen, Hungersnöten und regelmäßigen Extremwetterlagen wiederfinden.

Wie Greta Thunberg auf der Klimakonferenz in Polen sagte: „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet!“

Natürlich ist „Panik“ kein gutes Mittel, um mit kühlem Kopf gute Entscheidungen zu treffen, aber dies ist auch nicht das, was sie meint. „Panik“ bedeutet für Greta, dass wir alle, angesichts der ersten sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels, eine innerliche Unruhe spüren sollten.

Mir graut es vor dem großen Insektensterben, den Bildern von verhungerten Eisbären, der Vorstellung, dass Menschen durch Dürren und Überschwemmungen ihre Heimat verlieren, vor Politikern, die wieder bereit sind, die Regenwälder abzuholzen und ganz besonders vor dem Moment, wenn ich mich Kinder fragen, warum das alles passiert ist – weil wir uns wie Vollidioten benommen haben!

Dieser Unruhe müssen wir also nachgeben und sie in die Umgestaltung unserer Lebenswelt verwandeln. Und zwar mit der gleichen Kompromisslosigkeit, wie wir es auch tun, wenn andere Dinge uns umtreiben. Denn der Klimawandel ist unerbittlich. Er kommt und er wird sich von keinem unserer Wünsche, unserer Ignoranz, unseren Worte, unserem Verhandlungsgeschick, unserer Studien oder unserem Geld aufhalten lassen.

Der Klimawandel ist die bisher größte Herausforderung, der sich unsere Gesellschaft bisher stellen musste. Deshalb ist es wichtig möglichst alle Parteien und Länder mit ins Boot zu holen und die faulen Kompromisse endlich zu beenden. Denn, liebe Freund*innen, der Klimawandel ist nicht verhandelbar.

Die Schüler*innen werden nicht aufhören die Schule zu schwänzen, wenn wir ihnen Klimaschutzunterricht zusagen. Sie brauchen keine Aufklärung mehr, sonst wären sie nicht auf die Straße gegangen. Was sie brauchen sind klare Signale, dass es voran geht. Sie brauchen Transparenz und damit Kontrollmöglichkeiten, damit sie an den richtigen Stellen sagen können: Liebe Stadt Kiel, liebes Land, liebe Bundesrepublik, liebe EU. An dieser Stelle passiert nicht genug und wir erwarten, dass ihr das ändert und zwar schnell.

Was wir brauchen ist Überzeugung und Konsequenz in all unserem Handeln und in unseren Entscheidungen, auch auf kommunaler Ebene. Nur so können wir die Mehrheit der Kieler Ratsversammlung, der Wirtschaft und der Kieler*innen auf diesem Weg der Transformation mitnehmen.

Im ersten Dreivierteljahr hat die grüne Ratsfraktion, zusammen mit der Kooperation, einen ersten Grundstein für die Mobilitätswende gelegt und die Planung einer Stadtbahn beschlossen. Weitere Grundsteine werden folgen, wie der Ausbau der Fuß- und Fahrradwege, der Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und die Einführung des 1-Euro-Tickets. Dieser Prozess ist bereits im Gange: bereits in diesem Jahr haben wir zusammen mit der Kooperation und unserem Oberbürgermeister mit den zuständigen Akteuren gesprochen. Ich bitte dennoch um Geduld – denn auch ich musste feststellen, dass die Transformation der jetzigen Verkehrssituation nur durch gute Planung durchführbar ist und eine Menge Zeit und Geld kosten wird.

Wer in Städten wie Freiburg, Kopenhagen oder Amsterdam war, weiß wie attraktiv Städte sind, wenn der motorisierte Individualverkehr nicht mehr überall durchbrausen kann. Ziel muss es daher sein, dass jede Kieler*in gar keinen Grund mehr hat einen eigenen Wagen zu besitzen. Das ist derzeit nicht der Fall, wie folgendes Beispiel deutlich zeigt: eine Freundin, die am Westring wohnt, hat letztens den Bus verpasst und brauchte statt 30 Minuten mehr als 3 ½ Stunden mit dem Bus ins Kieler Umland. Ursache sind schlechte Anschlüsse. Die darf, wenn man die Mobilitätswende ernsthaft erreichen will, nicht sein und hier muss der öffentliche Nahverkehr dringendst ausgebaut werden.

Auch erinnere ich mich an einen Dokumentarfilm, den ich letzte Woche auf der Berlinale gesehen habe: es waren alte Aufnahmen aus China in den 60er Jahre, als die Straßen noch von hunderten Fahrrädern dominiert wurden – ein wahnsinnig spannendes Bild und ich hatte eine Zukunftsvision von Kiel vor Augen. Stellen wir uns eine Straße vor, zum Beispiel in der Innenstadt. In der Mitte die Stadtbahn, daneben breite Fahrradwege mit Kieler*innen, die das Radfahren genießen können. Nur noch vereinzelt fahren Autos, die sich an das Tempo der Radfahrer angepasst haben. Man sieht Algenfassaden an den Häusern und Gründächern, es gibt Neubauten, in deren Fassade Bäume integriert sind – Kiel ist eine Symbiose mit der Natur eingegangen.

Eine andere Organisation des Verkehrs bedeutet nicht, dass Menschen oder die Wirtschaft dabei verlieren müssen. Auch in Zukunft wird es weiterhin gewerblichen Lieferverkehr geben, nur mit Lastenrädern und elektrifizierten Transportern. E-Kleinbusse bringen Menschen mit Behinderung und ältere Menschen zu ihrem Ziel. Der Güterverkehr wird entweder auf die Schiene verlagert oder die Lastwagen werden von den Fähren auf eigenen Routen aus der Stadt geleitet. Pendler*innen aus dem Kieler Umland fahren entspannt mit dem Bus, der Bahn oder mit Park & Ride zur Arbeit. Keiner muss dabei verlieren, wenn die Verkehrswende gut geplant angepackt und umgesetzt wird. Aber die Verkehrswende müssen wir anpacken und zwar jetzt und nicht erst morgen.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden, es geht mir hier nicht um einen „Krieg“ gegen den Individualverkehr. Vielmehr möchte ich dafür appellieren, dass wir unsere Gewohnheiten ändern müssen.

Heute fahren in China mehr Autos als Räder, weil das Auto ein Zeichen des Wohlstandes geworden ist. Darum braucht es auch viel Mut zu sagen, dass wir unsere Vorstellungen von Statussymbole überdenken und verändern müssen.

In den Städten sind die Bedürfnisse der Menschen ganz einfach: wir wollen stressfrei von A nach B fahren und dabei gut aussehen. Wir wollen dabei gesund bleiben und weder schlechter Luft noch Lärm ausgesetzt sein.

Nachhaltigkeit ist nicht etwas, was uns etwas wegnehmen will – im Gegenteil: Nachhaltigkeit gibt uns etwas zurück, nämlich Lebensqualität. Wir können nur gewinnen, wenn wir mutig genug sind, progressiv voranzuschreiten und Kiel zu einer der lebenswertesten Städte dieser Welt zu machen. Packen wir es an und bereiten wir den Schritt für eine Zukunft, die auch für unsere Kinder und Kindeskinder eine echte Zukunft ist.

Vielen Dank.

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