Drei Monate Climate Emergency in Kiel: Ein erstes Resümee

Von: Jessica Kordouni

Im Mai 2019 hat Kiel den Climate Emergency ausgerufen, in vielen Städten auch Klimanotstand genannt. Da wir immer wieder deswegen angefragt werden, möchte ich hier ein kurzes Resümee der letzten drei Monate ziehen und das auch in regelmäßigen Abständen wiederholen.

Climate Emergency: Warum nicht das deutsche Wort Klimanotstand?

Bei dem Bekenntnis zum Climate Emergency ging es der Kooperation aus SPD, Grünen und FDP darum zu unterstreichen, dass die Klimakrise ein globales Problem ist, dem sich die Menschen so schnell wie möglich stellen müssen. Dazu hat sich im englischen Sprachgebrauch das Wort Emergency eingebürgert, das wir im Sinne des Notfalls als stärker empfinden, als das deutsche Wort Klimanotstand mit seinem historisch negativen Anstrich. Zudem sollte damit eine Scheindiskussion um das Wort Notstand vermieden werden, die die Kieler CDU leider dennoch führt, anstatt aktiv mit Ideen für mehr Klimaschutz zu punkten.

Was sagt der Beschluss?

Der Beschluss zum Climate Emergency im Mai 2019 beinhaltet folgende wichtige Eckpunkte:

  1. Die Eindämmung der Klimakrise hat für Kiel Priorität
  2. Das Engagement von Klimaschützer*innen soll ausdrücklich unterstützt werden
  3. Die Maßnahmen aus dem Masterplan „100 Prozent Klimaschutz“ werden weiter zügig umgesetzt und dabei die Entwicklungen aus dem IPCC-Bericht laufend berücksichtigt
  4. Die Verwaltung soll in einer Geschäftlichen Mitteilung Maßnahmen aus diesem Masterplan und dem Green City Plan vorschlagen, die beschleunigt und vorgezogen werden können
  5. Bei allen Entscheidungen und Beschlüssen sollen die Auswirkungen auf das Klima berücksichtigt werden
  6. Der Klimaschutz soll dabei sozial ausgewogen sein
  7. Die Innovationskraft des Klimaschutzes soll unter Einbeziehung der örtlichen Unternehmen und der Kieler Hochschulen genutzt und Wachstumsmärkte erschlossen werden
  8. Auch die Potenziale der Digitalisierung sollen genutzt werden
  9. Die Stadt Kiel ruft die Landes- und Bundesregierung auf, die notwendigen rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für effektiven Klimaschutz zu schaffen

Damit geht der Beschluss weit über ein bloßes Bekenntnis oder enge Forderungen hinaus, denn er sieht einen strategischen Ansatz vor, der den Prozess einer umfassenden Umwälzung des jetzigen Lebensstils und Wirtschaftens anstoßen soll.

Begleitet wurde der Beschluss im Rat von einer Pressekonferenz der Bürgerinitiative Klimanotstand, die am selben Tag einen ersten Forderungskatalog veröffentlichte und diesen einen Monat später in einer zweiten Version weiter präzisierte. Auch andere Umweltverbände wie der NABU haben inzwischen Forderungen an die Stadt Kiel veröffentlicht. All das hilft, um eine lebendige Debatte darüber zu führen, wie wir vor Ort in Kiel unseren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten können und dabei eventuell zum Vorbild für andere Kommunen werden können.

Das Signal hat erste Folgen

Kiel beginnt als Klimaschutzstadt nicht bei Null. Mit dem Masterplan „100 Prozent Klimaschutz“, dem „Green City Plan“, dem Masterplan „Mobilität“ und vielen anderen Klimaschutzmaßnahmen und Modellprojekten besitzt Kiel bereits eine große Wissensbasis, wenn es um kommunalen Klimaschutz geht. Zudem ist Kiel Standort für renommierte Klima- und Meeresforschung, z.B. durch das GEOMAR. Doch wie in vielen anderen deutschen Kommunen und Ländern, gibt es auch in Kiel zu viele Faktoren, die die Umsetzung von Klimaschutz und Klimaneutralität hemmen und lähmen.

Genau hier stößt der Climate Emergency schon nach wenigen Tagen viele neue Impulse an und gibt dem Thema Klimaschutz in Kiel weiteren Aufschwung, vor allem in der Verwaltung. Die anstehende OB-Wahl im Herbst spielt dabei wohl keine unwesentliche Rolle, aber sie ist auch nicht der einzige Faktor. Auch die in Kiel sehr aktive Fridays For Future-Bewegung stellt einen wichtigen Antrieb da, der vom Beschluss des Climate Emergency – also dem klaren Bekenntnis der kommunalen Politik – weiter unterstützt und befeuert wird. 

So wurde das seit längerem geplante Gremium „Masterplan 100 % Klimaschutz“ unmittelbar nach dem Beschluss sofort eingerichtet. Hier treffen sich nun einmal im Monat die Umweltverbände und Klimaschützer*innen mit der Verwaltung und der Politik. Vorsitz hat der Oberbürgermeister. 

Ebenso vernetzt sich die Stadt Kiel mit anderen Städte und Kommunen, die ebenfalls den Klimanotstand ausgerufen haben, um Erfahrungen und Ideen auszutauschen.

Zudem kommt es zu regelmäßigen Treffen zwischen Verwaltungsspitze und Vertreter*innen der Fridays For Future-Bewegung, der Bürgerinitiative Klimanotstand und den Umweltverbänden. 

Thema in Bewegung, Gedanken in Bewegung

Der Climate Emergency bleibt auch drei Monate nach dem Beschluss Thema auf allen Ebenen. Sowohl die Presse als auch die Ratsfraktionen und Bürger*innen greifen das Thema regelmäßig auf und stellen sich die Frage: Darf das noch sein, in Zeiten des Klimanotstandes?

Veränderung kann nur dann funktionieren, wenn uns als Menschen auffällt, dass etwas nicht mehr zeitgemäß ist. Das gilt für viele Themen, wie zum Beispiel bei der Diskriminierung. Auch der Klimaschutz braucht ein solches Bewusstsein und dieses erreichen wir als Gesellschaft nur, wenn wir Anlässe schaffen, darüber zu diskutieren. Das kann der Climate Emergency leisten, genauso wie die Fridays For Future-Bewegung. In Kiel ist die Wirkung beider deutlich zu beobachten.

Juni 2019: Verwaltung schlägt Maßnahmen zum Klimaschutz vor

Wie im Beschluss gefordert legt die Verwaltung nur einen Monat später eine Geschäftliche Mitteilung vor, in der sie Maßnahmen vorschlägt, die für den Klimaschutz vorgezogen werden können. Diese GM ist noch nicht verbindlich und soll im Herbst in Zusammenarbeit mit Politik und Bürger*innen in einen Beschluss überführt werden. 

Darin zu finden sind ca. 40 Maßnahmen, die zur schnelleren Erreichung der Klimaschutzziele vorgezogen werden sollen.

Zu ihnen gehören u.a.

  • Gründung des Gremiums „Masterplan 100% Klimaschutz“
  • Einrichtung der Stabsstelle „Mobilität“ zur Planung und den Bau einer sogenannten „Stadtbahn“
  • Im kommunalen Fuhrpark werden nur noch E-Fahrzeuge angeschafft
  • Verdoppelung der Investitionen in den Ausbau der Fahrradwege und die Radwegesanierung
  • Einrichtung einer Anlaufstelle für interessierte Bürger*innen, die sich im Klimaschutz engagieren wollen
  • Darstellung der Auswirkung auf das Klima auf allen Vorlagen der Stadt
  • Obligatorische Prüfung für den Einsatz der Wärmeversorgung durch regenerativen Energien bei allen Neu- und Sanierungsbauvorhaben außerhalb des Fernwärmenetzes
  • Bei Baugebiete außerhalb des Fernwärmenetzes soll die Erstellung von Energieversorgungskonzepten auf Basis regenerativer/innovativer Energien obligatorisch werden
  • Initiierung eines Energieverbundes KielRegion
  • Drängen auf Veränderungen der Förderprogramme von Land und Bund, um das Kieler Kraftwerk mit regenerativ erzeugtem Gas zu betreiben (heute noch Erdgas)
  • Aufstockung der Mittel, um auf allen geeigneten Dächern städtischen Liegenschaften Solarstromanlagen zu installieren 

Beim Durchlesen der Vorlage fällt auf, wie kleinteilig und technokratisch der Kommunale Klimaschutz in der Durchführung ist. Vieles nur verständlich, wenn man sich näher mit Klimaschutzmaßnahmen auseinandersetzt. Hier kann man erkennen, warum der Klimaschutz kein Thema ist, das sich allein am Leben hält. Darum müssen hier andere Mittel angewandt werden, um eine stetige Debatte über besseren Klimaschutz in der Politik, aber vor allem in der Bevölkerung am Leben zu halten. 

Zudem liegt der Einflussbereich der Kommune nur auf einem kleinen Teil der Veränderungen, die für den Klimaschutz notwendig sind. Der weitaus größere Teil liegt in der Wirtschaft und bei den Privatpersonen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Kommune in vielen Bereichen nur als Vorbild dienen kann und die weitaus größeren Hebel beim Land und beim Bund liegen. 

So wäre ein Zwang zum energetischen Bauen (Passivhaus, Nullenergiehaus) zwar wünschenswert, kann aber mit dem aktuellen Baurecht nicht umgesetzt werden. Auch Haushaltsrechtlich muss überlegt werden, ob notwendige Investitionen in die Klimawende von der Schuldenbremse gebremst werden dürfen. Denn immerhin ist der Gedanke hinter der Schuldenbremse, den Nachkommen keine Lasten der Vergangenheit zu hinterlassen. Das muss auch für die Klimakrise gelten. Zuletzt ist eine CO2-Bepreisung ein wichtiges Steuerungselement, um den Konsum fossiler Treibstoffe zugunsten von alternativen Energien zu senken.

Dennoch kann auch die Kommune wertvolle Arbeit leisten, was vor allem für die Energieversorgung und den Verkehr gilt. 

Was geplant ist

Drei Monate sind seit dem Beschluss zum Climate Emergency vergangen und Kiel ist zum jetzigen Zeitpunkt in einer Findungsphase. Die Bewegung, die durch die Fridays For Future-Bewegung, den Climate Emergency und die faktische Sichtbarkeit der Klimakrise ausgelöst wurde, muss jetzt in einen Veränderungsprozess überführt werden.

Als nächste Station hat der Oberbürgermeister eine Bürger*innen-Werkstatt vorgesehen, die im Herbst stattfinden wird und Teil dieses Prozesses sein soll. Der Klimaschutz geht uns alle an und die Kieler*innen sowie Unternehmen sind wichtige Akteur*innen, wenn es darum geht, die Klimaneutralität der Stadt vor dem Pariser Zielpunkt 2050 zu erreichen.  

Um diesen Prozess zu begleiten, hat die Grüne Ratsfraktion einen Arbeitskreis Kommunaler Klimaschutz gegründet, an dem Parteimitglieder und Interessierte aktiv mitarbeiten und ihr Wissen sowie ihre Ideen einbringen können, um diese in Ratsanträge zu überführen. Die aktuellen Termine erfahrt ihr auf unserer Webseite.

Über weitere Entwicklungen werden wir euch an dieser Stelle berichten.

Keine Angst vorm Klimanotstand

Zuletzt möchte ich nochmal einen Appell an all diejenigen Kommunen richten, denen ein Antrag zur Ausrufung des Klimanotstandes in den nächsten Monaten vorliegen sollte.

Leider wird die Debatte um das Wort Notstand sehr emotional geführt. Das Ausrufen eines Climate Emergency oder Klimanotstandes hat nichts damit zu, dass damit die Ausnahmesituation erklärt wird. Was wir jetzt brauchen ist nicht Zögern, sondern Mut. Mut zu sagen, ja wir haben ein Problem und die Politik muss dieses Problem mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln lösen. Sich der Klimakrise zu verweigern und die eigenen Wähler in Watte zu betten, ist ein Festhalten an einem Status Quo, der, umso länger wir warten, umso unangenehmere Maßnahmen und Einschränkungen für jeden einzelnen von uns nach sich ziehen werden. 

Das Unwohlsein über die Klimakrise wird in den nächsten Jahren immer weiter zunehmen. Das einzige, was uns aus dieser sogenannten Klimadepression hilft ist nicht, die Menschen davor zu schonen, sondern ihnen die Hoffnung auf eine Lösung zu geben. Auch das ist Aufgabe mutiger Politiker*innen. Um diese Lösungen zu finden, müssen wir über alle Optionen diskutieren können, die helfen, die Klimakrise zu bewältigen. Und dafür ist es wichtig als Politik zu sagen: Ja, wir haben ein Problem.

Weiterführende Links und Quellen

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