Kraftwerks-Alternativen für die Energiesparstadt Kiel

Vortrag des Fraktionsvorsitzender Lutz Oschmann zur Kreismitgliederversammlung 23.11.06:

Der Klimawandel ist Realität. Monat für Monat erreichen uns neue Meldungen über seine dramatischen Folgen. Das Abschmelzen des arktischen Eises, der weltweite Schwund der Gletscher, der Anstieg des Meeresspiegels, die Verschiebung von Vegetationszonen, Stürme, Überschwemmungen und Dürreperioden sind nur einige der schlimmsten Konsequenzen. Auch Europa ist schon jetzt massiv betroffen: Hitzewellen werden langsam zur Normalität, mit dramatischen Auswirkungen für die menschliche Gesundheit, für Land- und Forstwirtschaft, für die Energie- und Wasserversorgung. Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Wetterkapriolen ist nicht mehr von der Hand zu weisen.

Die menschliche Verantwortung für die globale Erwärmung wird nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Die Gewissheit nimmt zu, dass der Klimawandel noch drastischer verlaufen wird als bisher angenommen. Die globale Temperatur ist bisher um durchschnittlich 0,8 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten gestiegen. Die Klimawissenschaft warnt davor, dass sie bis zum Jahr 2100 sogar um bis zu 4,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten steigt, wenn nicht gehandelt wird. Der Meeresspiegel wird weltweit um mindestens einen Meter ansteigen. Und auch für Deutschland werden bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 2-3 Grad Celsius höhere Temperaturen prognostiziert.

Wirtschaftliche Schäden liegen weltweit bei 5,5 Billionen Euro
Der Klimabericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Sir Nicholas Stern von Ende Oktober 2006 warnt vor drohenden Schäden in Höhe von fünf bis zwanzig Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Doch die gute Nachricht ist: Der Nutzen aktiver Klimapolitik übersteigt die Kosten des Nichtstuns um ein Vielfaches. Eine anspruchsvolle Klimapolitik verhindert das ökonomische Desaster. Bis zum Jahr 2100 beugt jeder eingesetzte Euro für Klimaschutz bis zu zwanzig Euro an Klimaschäden vor. Die politische Antwort kann daher nur lauten: jetzt handeln und den Ausstoß klimaschädlicher Gase weltweit schnell und drastisch senken. Um das Allerschlimmste zu verhindern, muss der Anstieg der globalen Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten begrenzt werden.

Deshalb muss auch in Kiel der Ausstoß an Treibhausgasen energisch reduziert werden. Für eine nachhaltige, Ressourcenschonende, Verkehrsvermeidende, umweltverträgliche Stadtentwicklung, wie die GRÜNEN es für Kiel anstreben, ist eine zukunftsorientierte Energiepolitik von großer Bedeutung. Eine Energiepolitik weg vom Öl, von Kohle und Atom.

Von der GRÜNEN Ratsfraktion initiiert wird für Kiel ein nachhaltiges kommunales Energie- und Klimaschutzkonzept erarbeitet, von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe von Mitarbeitern der Stadtwerke und der Stadtverwaltung.

Fernwärme ausbauen
Der Anteil von Heizöl am Endverbrauch ist in Kiel rückläufig, Verbrauchszuwächse gab es beim Erdgas, während der Fernwärmeabsatz stagniert. Angestrebt wird deshalb der Abbau der internen Konkurrenz zwischen Fernwärme und Erdgas bei den Stadtwerken hin zu Ausbau der Fernwärme. Das sieht die Stadt genauso wie der Stadtwerke-Vorstand. In diesem Zusammenhang muss auch die Müllverbrennungsanlage mit behandelt werden. Die Auskopplung von Heizdampf bzw. Heizwasser aus dem Verbrennungsprozess ist und bleibt sinnvoll und muss auch langfristig vom Stadtwerke-Netz aufgenommen werden.

Die Kieler Fernwärme wird bis zum Jahr 2017 von Dampf auf Heißwasser umgestellt. Die Wärmeverluste im Transport sinken so von 21% auf 11%, ein erheblicher Gewinn für die Kieler Umwelt. Wir wollen Fernwärmevorranggebiete mit der Option auf Rückbau paralleler Gasversorgung. Die Frage eines Anschluss- und Benutzerzwangs muss geklärt werden.

Weiter können wir uns Energiedienstleistungsangebote der Stadtwerke vorstellen speziell für Haushalte mit Ölheizungen. Der Preis für leichtes Heizöl liegt jetzt um 40 % über dem Vorjahrespreis. Was das für die privaten Haushalte bedeutet kann sich jeder Mensch leicht ausrechnen. Sinnvoll wäre ein Arbeitskreis von Kieler Unternehmen zur Energieeffizienz. Die Solartage des Kieler Handwerks sind sehr erfolgreich, sie haben im August 2006 zum zweiten male stattgefunden.

Raumheizungen mit Einsparpotentialen
Die Raumheizung von Altbauten in Kiel bietet ein riesiges Einsparvolumen. Das Beispiel der energieoptimierten Kersig-Häuser in der Holtenauer Straße mit 70% weniger Verbrauch zeigt wie es geht. Der Ölpreis wird sich nicht mehr drehen, darum ist die Abkehr vom Ölverbrauch notwendig und wirtschaftlich richtig. Das CO²-Wohngebäudesanierungsprogramm der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bietet zinsgünstige Kredite für nachhaltige energetische Sanierung von Wohnungen. Dies Zinsverbilligungs-Programm der Bundesregierung ist von den GRÜNEN initiiert worden, schon 170.000 Wohnungen sind saniert worden. Für die energetische Sanierung von Wohnungen liegt der Zinssatz z.Zt. bei 2,75 %. Da heißt es zugreifen, Energie wird nicht billiger. Dies käme auch dem lokalen Handwerk zu Gute. Kieler Häuser können nicht in Niedrig-Lohnländer exportiert werden, sondern die Energieoptimierung erfolgt vor Ort durch qualifiziertes Personal.

Die durchschnittlichen Heizkosten von Kieler Wohnungen sind noch relativ hoch, das zeigt der Heizspiegel im Rahmen der Klimaschutzkampagne, genau so wie der Betriebskostenspiegel des Mieterbundes.

Die Förderung von energiesparenden Bauweisen im Neubau und Bestand ist ein wichtiges Handlungsfeld. Beschlossen ist eine innovative Bauausstellung (InBa) für das Jahr 2008 mit integrierten Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien und zur Verbesserung der Energieeffizienz. Bei einer Lebensdauerbetrachtung eines Gebäudes wird deutlich, 25-30% der Kosten sind die einmaligen Investitionskosten, 70-75 % sind aber Betriebs- und Unterhaltungskosten. Konkret heißt das z.B., die neue Sporthalle in Schilksee wird nicht mit Erdgas beheizt sondern mit Holz-Pellets.

Wichtig sind der schrittweise Austausch aller Ölheizungen aus städtischen Gebäuden und ihr Ersatz durch Holzpelletheizungen oder einen Fernwärmeanschluss. Hier hat die Stadt Kiel schon viel erreicht. Nach unseren Informationen werden pro Jahr für die Städtischen Liegenschaften noch 155.000 Liter El (leichtes Heizöl) verbraucht.

Ölabhängigkeit im Verkehr reduzieren
Im Verkehrsbereich ist die Ölabhängigkeit am größten. Der Verkehrsanteil des ÖPNV kann gesteigert werden, das beste Instrument dafür ist die StadtRegionalBahn. Das Projekt ist beim Bund als ÖPNV-Großvorhaben zur Förderung angemeldet worden. Die Finanzierung als ein public-privat-partnership (PPP)-Projekt wird zur Zeit von der Investitionsbank geprüft.

Die Kieler Autokraft hat einen Pilotversuch, bei dem 3 Linienbusse ein Jahr lang mit einem Pflanzenöl-Diesel-Gemisch fuhren, erfolgreich abgeschlossen. Ab 2006 sind 50 Busse der Autokraft auf das neue Tank-Gemisch umgestellt worden, dabei beträgt der nachwachsende Bio-Anteil 50%. Auch unsere KVG hat mit einer Testphase einer Biodieselbetankung für zunächst 10 Busse begonnen. Die Ergebnisse sind positiv, nach und nach sollen insgesamt 60 Busse den erneuerbaren Kraftstoff tanken können. Die KVG rechnet mit einer Treibstoffkostenersparnis von 150.000 € pro Jahr.

Diese positive Entwicklung weg vom Öl steht möglicherweise vor dem Aus. Die Schwarz/rote Bundesregierung will mit ihren Vorschlägen zur vollen Besteuerung aller Biokraftstoffe den gerade begonnen Ausbau der reinen Biokraftstoffe beenden. Damit erhöht die Bundesregierung die Abhängigkeit Deutschlands vom Konfliktbeladenen und klimaschädlichen Erdöl. Gleichzeitig verhindert sie damit einen Beitrag zur heimischen Energieversorgungssicherheit  durch Klimaschonende und Arbeitsplatzfördernde Biokraftstoffe. Sie fällt damit hinter die USA zurück, deren Präsident Bush angesichts der Entwicklung im Nahen Osten auf Biokraftstoffe setzen will. Dieser hat vor kurzem angekündigt, dass Biokraftstoffe in den USA künftig 75 Prozent des Importöls aus dem Mittleren Osten ersetzen sollten. Neu ist der Plan von Schweden bis 2020 seine Energieversorgung komplett vom Öl unabhängig zu machen.

Wichtig ist die weitere Förderung des Radverkehrs, der gute Verkehrsanteil in Kiel von 17% kann noch gesteigert werden. Die Fahrradstation am Hauptbahnhof wird gebaut.

Mit dem Antrag „Klimaschutzstadt Kiel 2010“ haben wir nach dem Beitritt in das Klimaschutz-Bündnis der Kommunen, zu der Kampagne SolarLokal in Kiel einen weiteren Baustein für eine nachhaltige lokale Klimapolitik gelegt. Dazu gehört auch die Initiative für ein rechnergestütztes Pendlernetz, das bundesweit stark steigende Nachfrage erfährt, Anlass dafür sind ebenfalls die hohen Spritpreise.

Kraftwerksneubau
In Kiel muss spätestens 2008 entschieden werden, in welcher Form das Kohlekraftwerk auf dem Ostufer erneuert wird. Der e.on-Konzern, 50%-Anteilseigner des GKK (Gemeinschaftskraftwerk Kiel), plant ein neues Steinkohle-Kraftwerk mit einer Leistung von 1.200 MW elektrisch. Das ist mehr als eine Verdreifachung der jetzigen Leistung (heute 323 MW). Bei der Größe des Kraftwerkes bleibt die Frage nach dem Verbleib des Teils der Abwärme, der nicht mehr für die Fernwärmeversorgung gebraucht wird. Es wird also die Förde aufgeheizt. Pro Jahr sollen 2,5 Mio. t Steinkohle verbrannt werden, die mit Panmax-Frachten mit jeweils 80.000 t angeliefert werden. Für die Anlieferung muss dazu ein Kohleausleger von 300 m Länge in die Förde gebaut werden. Neben dem Kraftwerk wird es 35 m hohe Kohlelagerstätten geben.

Bei den Überlegungen für einen Kraftwerksneubau geht es um die Entscheidung, wie die wesentliche Energieerzeugung für Kiel und Umgebung für die nächsten 45 Jahre aussehen wird. Der GRÜNEN Fraktion geht es um alternative Energieträger zur Steinkohle, also Erdgas, Biogas und Biomasse. Ein GuD-Kraftwerk, ein Gas- und Dampfturbinenprozesskraftwerk, hat einen elektrischen Wirkungsgrad von 57,5 %, das ist deutlich höher als bei einem Steinkohlekraftwerk. Allerdings ist Erdgas auch ein fossiler Kraftstoff, der mittelfristig durch Biogase ersetzt werden kann. Vorstellbar ist ein Biomasse-Kraftwerk. Dafür sind Potentiale in der K.E.R.N.-Region vorhanden. Laut städtischem Umweltamt stehen in einem Radius von 35 km um Kiel für eine zentrale energetische Verwertung 200.000 t Reststroh und 73.000 t Restholz als Biomassepotential zur Verfügung. Bezogen auf die Energieverbrauchssituation entspricht das einem Primärenergieanteil von 15%, bezogen auf die Stromproduktion sogar von 40%. Für eine Biomassenutzung sprechen die Vorteile der CO²-Neutralität, dafür müssen keine Emissionshandelszertifikate gekauft werden.

Im ersten Zwischenbericht des Öko-Instituts zu der energetischen Nutzung der Biomasse in der K.E.R.N.-Region wird auf ein Energiepotential von 690.000 MWh (MegaWattStunden) aus Reststroh sowie einem Energiepotential von 67.560 MWh aus Waldrest- und Schwachhölzern hingewiesen. Die Summe aller Biomassepotentiale wird auf 1,1 Mio. MWh geschätzt. Das Energiepotential aus Biogas beim Anbau von Energiepflanzen auf 10% der Ackerfläche der K.E.R.N.-Region liegt bei 543.000 MWh, ein Anbau auf 20% der Ackerfläche wird von der Landesregierung angestrebt.

Wie groß diese Potentiale tatsächlich sind, zeigt der Vergleich mit dem jährlichen Stromverkauf der Kieler Stadtwerke an ihre 180.000 Kundenhaushalte. Die verkauften 1,25 Mio. MWh im Jahr 2005 liegen in der Größenklasse der Biomassepotentiale von 1,1 Mio. MWh, und das ohne Einbeziehung des Anbaus von Energiepflanzen.

Die Kieler GRÜNEN müssen mehrere politische Entscheidungen treffen:

  1. Können wir angesichts des Klimawandels dem Bau eines Kohlekraftwerks, egal welcher Größe, zustimmen oder müssen wir das grundsätzlich verhindern?
  2. Ist ein neues Steinkohlekraftwerke in der heutigen Größe mit CO²-Abscheidung vorstellbar?
  3. Welche Kraftwerks-Alternativen schlagen wir vor?
  4. Wäre ein kombiniertes Kohle/Biomasse-Kraftwerk ein Kompromiss?

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