Eine lebenswerte Stadt der Zukunft 29. September 20229. Januar 2023 von Dirk Scheelje und Philipp Walter Ein Plädoyer für einen anderen Umgang mit dem gemeinsamen öffentlichen Raum und einer neuen Haltung zur Mobilität. Es ist Zeit damit anzufangen, die Stadt der Zukunft zu gestalten. Eine Stadt, in der Menschen gut leben können, in der Mobilität und attraktiver öffentlicher Raum keine Gegensätze sind. Das wird bedeuten, dass Mobilität anders organisiert werden muss. Mobil sein in der Zukunft heißt in erster Linie, sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem öffentlichen Verkehr fortzubewegen. Wer wirklich ein Auto braucht, soll dafür auch einen Stellplatz erhalten. Wir stellen uns vor, dass Kiel in 20 Jahren so aussieht: Senior*innen sitzen auf dem Exerzierplatz auf einer Bank unter Bäumen und unterhalten sich. Die Stadtbahn hat sie direkt von zu Hause dorthin gebracht, um sich treffen zu können. Nebenan spielen Kinder und ein Café lädt die Eltern zum Schnacken ein. Ähnliches passiert an der Kiellinie. Eine Familie, die zu Besuch in Kiel ist, läuft die Kiellinie entlang, um die Gorch Fock zu bewundern. Sie haben genügend Platz zum Flanieren, da die Radfahrenden, die zur Arbeit pendeln, eine eigene, baulich getrennte Spur haben, wo früher nur Autos gefahren sind. Die Familie freut sich über die Ruhe an der Kiellinie. Die Autofahrenden fahren stattdessen aber nicht einfach alle die Feldstraße entlang, sondern sind größtenteils auf die Stadtbahn umgestiegen, die alle Stadtteile Kiels schnell und umweltfreundlich miteinander verbindet. Trotzdem surren nach wie vor kleine und große Elektrobusse durch die Stadt, um auch wirklich alle Kieler*innen in der Nähe ihres Zuhauses abholen zu können. Vor deren Wohnhäusern parken nur noch die Autos von den Menschen, die sie wirklich benötigen. Andere Autos stehen am Stadtrand oder in Quartiersparkhäusern und geben so Platz frei, damit sich Nachbar*innen wieder begegnen können und Kinder sicher in der Straße sind, in der sie leben. Auch wenn es solche Szenarien schon zuhauf gibt, Realität sind sie in deutschen Städten noch nicht geworden. Wir sind überzeugt, dass wir konkret werden und Kiel fit machen können für die Zukunft. Das ist eine große Aufgabe mit vielen Herausforderungen aber nur mit einer klaren Vision und Menschen, die anpacken, wird diese Vision auch Wirklichkeit. Wir möchten, dass es allen Menschen in dieser Stadt besser geht, dass sie sich schneller, bequemer und günstiger fortbewegen können, dass alle, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft, die Möglichkeit derTeilhabe bekommen dass sie sich überall sicher fühlen, dass alle notwendige Anlaufstationen des Alltags innerhalb von 15 Minuten zuFuß oder dem Rad erreichbar sind. Das erreichen wir nicht, indem der Status quo beibehalten wird. Das erreichen wir nur, wenn wir alle gemeinsam darüber diskutieren, wie wir in Zukunft leben möchten und wie wir uns die Stadt vorstellen. Große Veränderungen sind dafür notwendig. Das beginnt in der Politik, geht über die Stadtverwaltung bis hin zu den einzelnen Bürger*innen. Veränderungen sind anstrengend, aber angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit unvermeidlich. Es ist nicht die Frage, ob wir sie angehen, sondern wann und wie.Schon in den nächsten Jahren sollten wir unsere Stadt grundlegend umgestalten, wenn wir den Herausforderungen der Krisen wie des Klimawandels, der Unabhängigkeit von Erdöl und -gas exportierenden Ländern, des Artensterbens, aber auch dem Risiko abnehmenden Wohlstands begegnen wollen. Die Entwicklung des öffentlichen Raums wird dabei nicht allein von der Mobilitätswende geprägt sein, sondern auch von Fragen des Klimawandels, des demographischen Wandels, des Bedürfnisses nach Lebensqualität, u.v.m. Die Mobilitätsdiskussion bildet also nur einen Auftakt, dem viele weitere Diskussionen und Entwicklungen folgen werden.Die notwendigen Veränderungen kann die Politik nicht alleine bewältigen. Es stellen sich Fragen, die wir im Diskurs mit den Bürger*innen der Stadt diskutieren wollen. Wir setzen dabei auf eine Offenheit für gegenseitige Argumente. So wie auch wir nicht auf unseren Konzepten beharren, wünschen wir uns von allen anderen Offenheit für die Sichtweisen anderer. Denn es geht um die besten Lösungen für uns alle und nicht darum, dass einzelne ihre Vorstellungen durchsetzen,Was sind das also für Fragen, die wir uns stellen und die wir mit der Stadtgesellschaft diskutieren wollen? Was heißt lebenswerte Stadt? Wie soll der öffentliche Raum der Stadt gestaltet sein? Wie viel Platz soll in der Zukunft für Kinder, für Grünflächen, für Parkraum und Verkehr vorhanden sein? Wie müssen die Fahrradwege der Zukunft aussehen, damit Fahrradfahren attraktiver wird? Wie stellen wir sicher, dass diejenigen, die aufgrund ihrer beruflichen Situation ein Auto brauchen, auch einen Stellplatz haben? Können Quartiersparkhäuser eine Lösung sein? Können wir den Parkraum schrittweise, Jahr für Jahr um einen bestimmten Prozentsatz reduzieren, um mehr Flächen für andere Nutzungen zu gewinnen, wenn wir wissen, dass es in zehn Jahren mit der Stadtbahn einen attraktiven ÖPNV geben wird? Sollten wir die Parkmöglichkeiten für Wohnmobile und Lieferwagen imStadtraum begrenzen, um Aufenthaltsqualität zurückzugewinnen? Wie soll das Zusammenleben im Quartier der Zukunft aussehen? Wie viel Mobilität brauchen wir in der Zukunft? Können wir unsere Arbeits- undLebenswelt anders gestalten, z.B. durch dezentrales Arbeiten in öffentlichenCoworking Spaces, durch bessere Verbindung von Arbeiten und Wohnen? Brauchen wir mehr generationenübergreifendes Wohnen? Welche Konzepte gibtes für das Älterwerden in der Stadt? Soll es wieder dezentrale Einkaufsmöglichkeiten geben, um aufwendige Fahrtenzu Einkaufszentren zu vermeiden? Wie können wir die Schulen in die Stadtteile integrieren, Schulhöfe zuSpielplätzen im Quartier werden lassen? Wie ihre Erreichbarkeit für Kinderverbessern, damit Elterntaxis überflüssig werden? Wie können wir unabhängiger von großen Energieversorgern werden? Diese und noch sehr viel mehr Fragen werden wir uns stellen müssen und versuchen Antworten darauf zu finden, wenn wir unsere Stadt krisenfest und gleichzeitig lebenswerter machen wollen. Die kommenden Jahre werden für einen großen Umbruch stehen – der Krieg in der Ukraine gibt dafür nur einen Vorgeschmack. Die Jahre des Umbruchs sollen aber nicht Jahres des Rückschritts und Wohlstandsverlusts sein, sondern Jahre des Aufbruchs. All diese Veränderungen sollten uns dabei nicht abschrecken oder Angst machen. Veränderungen sind häufig unangenehm, aber wenn sie richtig angegangen werden, gehen wir alle danach gestärkt hervor. Wenn alle Menschen mitgenommen werden, wenn vielfältige Meinungen gehört werden und gemeinsam sachlich debattiert wird, können die kommenden Jahre gute Jahre für uns alle werden. Dafür setzen wir uns ein. Wir freuen uns darauf!