Gleichstellung: Noch ein weiter Weg!

“Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin” – heißt es im Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die deutsche Realität ist seit über 72 Jahren eine andere. Das macht der ausführliche Bericht aus dem Referat für Gleichstellung deutlich. Es ist immer noch viel zu tun!

Es gibt genug Beispiele, die sehr klar machen, dass der deutsche Staat am selbstgesteckten Anspruch scheitert: Städte zum Beispiel werden nach männlichen Gesichtspunkten konzipiert und gebaut, viel zu oft meint die Sprache Geschlecht nur mit und Therapien sowie Medikamente sind oft immer noch für männliche Körper konzipiert.

Stadt: zu wenig weibliche Führungskräfte

Untersuchungen zu gruppendynamischen Prozessen lassen keinen Zweifel, dass gemischtgeschlechtliche Gruppen sozial sehr viel besser funktionieren als Männer-Gruppen. Trotzdem haben wir auch in der Kieler Verwaltung zu wenig weibliche Führungskräfte. Der Grund: vor allem strukturelle Probleme. Wir stehen hier noch vor einem Paradigmenwechsel. Denn viele Frauen, die heute in Führungspositionen sind, haben sich noch nach oben gekämpft. Dort galten sie oft als Beweis, dass es Frauen schaffen können. Dass eine Ausnahme noch keine Regel schafft, wird dabei gern übersehen.

Das Karrieresystem ist nach männlichen Lebensmodellen ausgerichtet. Und sozialpsychologisch funktioniert es auch noch immer nach den Regeln rein männlicher Hierarchien. In diesem Regelwerk bleibt nach wie vor zu wenig Platz für das Thema Familien-Arbeit und weiblicher Führungstil. Nur wenn es gelingt, die Zeit in der Familien-Arbeit in die Arbeit besser einzubinden, kann es bessere Gleichstellung geben, die Frauen mehr Chancen einräumt. Die überkommenen Vorurteile, weiblicher Führungsstil sei zu weich, zu kollegial und zu empathisch, sind immer noch nicht ganz ausgeräumt. Dabei ist es doch kein Geheimnis, dass sich die neuen Leadership-Modelle an diesem moderierenden und kooperativen Führungstyp orientieren.

Kiel braucht ein Mentor*innen-Netzwerk

Deutlichen weiblichen Nachholbedarf gibt es auch bei der systematischen Nachwuchsförderung. Männliche Mentoren-Kultur funktioniert seit der Antike, Frauen stehen hier erst am Anfang. Darum ist es wichtig, Mitarbeiterinnen und Chefinnen genau dort zu unterstützen. Nachwuchs muss systematisch auf dem Karriereweg begleitet werden und zwar ab Beginn der Ausbildung. Die Stadtverwaltung und die Gleichstellungsbeauftragte sollten einen Kieler Nukleus für ein Mentor*innen-Programm schaffen, der als Vorbild auch in die Stadtgesellschaft wirkt.

Corona hat in Deutschland eine Brennglasfunktion entfaltet und somit viele Probleme sichtbar gemacht. Es ist umso deutlicher geworden, dass in der Krise unsere Gleichstellung nicht krisenfest ist. Für Männer muss es selbstverständlich werden, dass “Ich unterstütze meine Frau bei der Pflege und Erziehung meiner Kinder” ersetzt wird durch“ Ich pflege und erziehe meine Kinder”. Das mag ein langer Weg sein – aber er beginnt heute.

Ungleichheit fängt im Portemonnaie an

Gleiches gilt auch für die Bezahlung. In der Coronakrise hat sich gezeigt, dass ausgerechnet die Berufe, die in der Krise besonders gebraucht werden, nicht nur vorwiegend von Frauen besetzt sind, sondern auch immens schlecht bezahlt werden. Gesellschaftlicher Wandel muss darauf abzielen, diese Ungleichheit in den nächsten Jahrzehnten konsequent abzubauen.

Der Bericht der Gleichstellungsbeauftragten zeigt zudem, wie wichtig die Arbeit der Frauenfacheinrichtungen ist und wie wichtig es war, auf den Ausbau des Frauenhauses zu drängen. Frauen müssen Bündnisse schmieden, sie müssen sich aber auch gegen sexistische und sexuelle Gewalt schützen, egal ob psychisch oder körperlich. Frauen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, und jeder Gewaltakt sollte als solcher gewertet und bestraft werden.

Gewalt darf nicht bagatellisiert werden

Besonders das Internet macht mir hier Sorgen. Hier bestärken sich Männergruppen mit einer toxischen Vorstellung von Maskulinität gegenseitig in ihren Gewaltfantasien, die sich gegen Frauen richten. Im schlimmsten Fall endet das in einem Femizid. In den meisten Fällen damit, dass Frauen in den sozialen Medien mit sexistischen Kommentaren überschüttet werden und die Grenze des Anstandes immer weiter verschoben wird. Die Medien haben daran einen nicht unerheblichen Anteil, wenn männliche Gewalt bagatellisiert wird. Mord bleibt Mord und sollte nicht als Beziehungstat verniedlicht werden, wenn ein Mann seine Frau oder Freundin tötet.

Weiter Informationen: Bericht der Gleichstellungsbeauftragten (2019 – 2020)

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